Ende Juni flogen 11 SchülerInnen und Schüler des JBG nach Moskau, um zusammen mit Schülern der Deutschen Schule Moskau und der Mittelschule 12 aus Rschew an einem deutsch-russischen Geschichtsprojekt teilzunehmen. Gemeinsam setzten sich die Jugendlichen eine Woche lang mit den Geschehnissen des 2. Weltkrieges auseinander. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen werden die SchülernInnen in einer Abendveranstaltung im Oktober präsentieren (Termin folgt).
Einen Reisebericht und eine Auswahl an Fotos gibt es hier schon einmal vorab.
Erinnern, Gedenken, Versöhnen – Moskau – Rschew – Hamburg
Wie lange fliegt man von Hamburg nach Moskau?
Diese Frage stellte Herr Kieschnick in seiner Präsentation über einen Austausch, ein neuer Austausch nach Russland und nicht nur ein „normaler“ Austausch, sondern ein Geschichtsaustausch mit einem besonderen Fokus auf den 2. Weltkrieg und die daraus folgende unterschiedliche Erinnerungskultur in beiden Ländern.
Man fliegt tatsächlich von Hamburg nach Moskau genauso lange wie von Hamburg nach Madrid. Uns wurde schnell bewusst: Russland ist in unseren Köpfen viel weiter von Europa entfernt als es geographisch tatsächlich ist. Mit ein paar Vorbereitungen, wie beispielsweise einem Plattdeutsch-Workshop und einem Film über unsere Schule, machten wir uns kurz vor den Sommerferien mit Herrn Kieschnick und Frau Popow, geborene Moskauerin, auf den Weg nach Russland.
Die erste Nacht verbrachten wir in der Deutschen Schule Moskau(DSM), wo wir am Morgen die Moskauer Schülerschaft kennenlernten. Vier Tage blieben wir in Moskau und besichtigten die Hauptstadt: Roter Platz, Moskau City, Siegespark mit einem Museumsbesuch und in einer Abendveranstaltung den Kreml. Wir durften ebenso in die Deutsche Botschaft und dort mit dem Leiter der politischen Abteilung über das deutsch-russische Verhältnis sprechen und diskutieren. Aber das Highlight unseres Moskau-Aufenthalts war nicht wie erwartet, das Deutschland – Korea Spiel, sondern unser Besuch in der Duma. Die Duma ist quasi der russische Bundestag. Dort wurden wir durch die verschiedenen Räume der verschiedenen Parteien der Duma geführt und uns gleichzeitig das politische System Russlands erklärt. Am Freitag fuhren wir schließlich zusammen mit den Moskauern nach Rschew.
Rschew liegt ungefähr zweihundert Kilometer westlich von Moskau und ist vor allem von historischer Bedeutung. Vom Winter 1941 bis März 1943 war Rzhew von der Wehrmacht des damaligen Nazi-Deutschland besetzt. Von 56.000 Einwohnern überlebten nur 150 die Besetzung. In zwei gefundenen Massengräbern vermutet man circa 70.000 verscharrte Menschen.
In Rschew machten wir zu allererst eine Stadtführung. Es gibt ein Denkmal für die sowjetischen Gefallenen und im kleinen Stadtpark Denkmäler für die führenden Generäle der Roten Armee. Die erste Nacht in Rschew verbrachten wir in einem nostalgischen Hotel, danach schliefen wir bei unseren Rschewer Freunden. In den nächsten Tagen beschäftigten wir uns viel mit unserem Projektgedanken „Erinnern, Gedenken, Versöhnen“. Wir besuchten den „Friedenspark“, einen deutsch-russischen Friedhof für all die Gefallenen der Schlacht von Rschew, außerdem ein kleines Museum der „Deutschen Kriegsgräberfürsorge“. Wir durften mit einem russischen Veteranen sprechen und diskutierten mit den russischen und deutsch-russischen Jugendlichen über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen sowie russischen Erinnerungskultur. Am Montag fuhren wir alle gemeinsam wieder zurück nach Moskau. Nach einer spannenden Podiumsdiskussion über Politik und Fußball wurde die Sporthalle der DSM zum Bettenlager und wir verbrachten unsere letzte Nacht in Russland.
Der Austausch war eindrucksvoll und ganz anders, als wir uns unseren Aufenthalt vorgestellt hatten. Der Unterschied zwischen Moskau als Hauptstadt und Rschew als provinzielle Kleinstadt war enorm. Während Moskau eine Stadt der Gegensätze ist, auf der einen Seite hochmodern, auf der anderen Seite eine Metro aus UdSSR-Zeiten, steht in Rschew auf dem Stadtplatz eine große Lenin-Statur. Aber vor allem faszinierten uns die Menschen. Die Gastfamilien waren unglaublich gastfreundlich und man fühlte sich, obwohl wir nur so kurz dort waren, gleich zuhause. Und wenn man auf das unausweichliche Thema Politik und Putin stoß, kamen andere Antworten als wir vermutet hätten. Russland ist nicht Wladimir Putin und nicht jeder Russe ist von dieser Politik überzeugt, aber es gibt auch keine großen Alternativen. Auch die klare Trennung zwischen Nazi-Deutschland von damals, über das die Russen gewannen, und das heutige Deutschland haben uns fasziniert. Diese Trennung, stellten wir fest, ist nicht mal in Deutschland fest verankert.
Insgesamt kamen wir ein bisschen wehmütig, aber mit vielen neuen Erfahrungen zurück. An dieser Stelle auch nochmal ein großes Dankeschön an Herrn Kieschnick und Frau Popow, aber auch an die russischen Lehrerinnen aus Rschew und Herrn Karrasch und Frau Schädlich von der DSM sowie Andre Reichel als Projektbetreuer. Vor allem aber danken wir den deutsch-russischen und russischen Schülern und ihren Familien, die uns so freundlich aufgenommen und uns den Austausch unvergesslich gemacht haben.
Kira Neumann (Klasse 12)
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